Pfingstmontag, es ist 20.35 Uhr. Wir wollten es uns eben ein wenig gemütlich machen und den heißen Tag in Ruhe ausklingen lassen, als der Strom ausfiel. Zuerst schauten wir natürlich nach den Sicherungen, aber ein kleiner Tumult im Treppenhaus zeigte uns, dass auch die anderen Hausbewohner betroffen waren – und nicht nur die. Ein ganzes Viertel stand ohne Strom da und selbst die Straßenbeleuchtung versagte. Also beschlossen wir, aus der Not eine Tugend zu machen und richteten uns auf unserem Balkon, den ich eben frisch mit Blumen in allen Farben bepflanzt hatte, mit einem Gläschen Wein ein. Bei Tagestemperaturen über 30 Grad und einer drückenden Schwüle war es noch immer sehr warm, aber zumindest brannte die Sonne nicht mehr auf uns herab. Kaum saßen wir, beobachteten wir am Himmel ein Schauspiel, welches ich so noch nie gesehen hatte. Wie eine riesige Welle schoben sich schichtweise Wolken übereinander. Es wurde innerhalb kürzester Zeit dunkel. Die Wolken nahmen eine eigenartig rotbraune Farbe an. Wir sicherten unsere Balkonmöbel und schon begann ein Unwetter, dass das Leben hier in Essen im Zentrum des Ruhrgebietes verändern sollte. Es wurde stockdunkel und es begann zu regnen und zu stürmen. Blitze zuckten ohne Unterbrechung über den Himmel und es krachte und toste. Wir standen an der Balkontür und beobachteten das Schauspiel. Mitunter konnte man durch diesen Starkregen nur wenige Meter weit sehen und nur schemenhaft ausmachen, was wirklich geschah. Mit eigenen Augen mussten wir ansehen, wie eine wunderschöne, gesunde , alte Kastanie in nur wenigen Minuten durch die Wucht der Elemente in drei Teile gespalten und gefällt wurde. Dachziegel stürzten zu Boden. Die Fensterscheiben vibrierten und wir hatten wirklich Angst, dass sie eingedrückt werden. Unsere Balkontür wurde soweit nach innen gedrückt, dass das Wasser in die Wohnung lief. Über eine Stunde tobte das Unwetter. Es war beängstigend. Danach Stille. Die Menschen trafen sich auf der Straße. Bestandsaufnahme. Autos waren unter Ästen begraben und verbeult. Die Menschen geschockt.
Wolkenformationen wie eine riesige Welle
Beängstigend: Die Wolken hatten eine rotbraune Färbung, hier ansatzweise erkennbar
Am Morgen danach wurde für alle das Ausmaß dieses Orkans, der inzwischen den Namen „Ela“ erhalten hat, sichtbar. Überall umgestürzte Bäume, zum Teil Autos, die darunter begraben wurden. Dachziegel auf den Straßen, die nicht mehr befahrbar waren. Dicke Äste, die nur noch an Fasern in den Bäumen hingen und noch immer eine Gefahr darstellen. Das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt. Zugverkehr ist nicht möglich. U-Bahnen fuhren nur im unterirdischen Bereich. Die Straßen nicht befahrbar. Viele Schäden auch an den Gebäuden. Überall auch angeschwemmtes Laub und Schmutz. Viele Geschäfte konnten nicht öffnen, weil die Menschen keine Chance hatten, an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Kindergärten und Schulen blieben geschlossen, einige davon können erst kommende Woche wieder öffnen. Die Stadt setzt Prioritäten, sorgt sich erst einmal darum, dass das Verkehrsnetz wieder funktioniert, wenn auch mit Einschränkungen. Im Folgenden möchte ich einfach Bilder sprechen lassen vom Tag 1 nach dem Orkan:
Heute dann, am Tag zwei nach „Ela“, schaute ich mich etwas genauer hier im Stadtviertel in unmittelbarer Nähe um. Was ich sah, hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Es sind Bilder, die ich wohl für lange Zeit nicht vergessen kann, Eindrücke auch, die mich mit Fassungslosigkeit erfüllen. Trotz der Warnungen der Medien, dass Spielplätze und Parkanlagen zu gefährlich wären, als dass sie betreten werden könnten, schob eine junge Mutter ihren Kinderwagen unter einer Absperrung durch, um den wohl kürzeren Weg durch den Park zu gehen. In eben diesem Park sah ich spielende Kinder direkt neben einem entwurzelten Baum ungeachtet der Gefahr. Für sie war das wohl ein riesiger Abenteuerspielplatz. Ich sah kleine Reihenhäuschen unter Bäumen begraben. Ein großer entwurzelter Baum stürzte auf einen eben errichteten Neubau eines Kindergartens. Ein alter Baum mit einem Stamm so dick, dass einer allein ihn nicht umarmen könnte – umgeknickt wie ein Streichholz. An manchen Stellen heute auch die ersten Spuren von Aufräumarbeiten, um Wege zu schaffen und die Straßen wieder frei zu bekommen. Aufgefallen ist mir, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kamen. Überall wurde geholfen, weil Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und die Bundeswehr nicht alles schaffen können. In solchen Katastrophensituationen finden die Menschen zueinander und das ist gut so. Die Folgen dieses Orkans werden noch in Jahren zu sehen sein. Viele alte Bäume, die auch das Stadtbild prägten, werden mit Sicherheit vermisst werden. Ein Dank an dieser Stelle all jenen, die in harter, unerbittlicher Mühe bis an die Grenzen ihrer Kräfte gehen, um möglichst bald dafür zu sorgen, dass eine gewisse Normalität in das öffentliche Leben wieder einkehren kann.
All die Bilder – sie sind Momentaufnahmen, Ausschnitte von dem, was ich gesehen habe. Ich selbst bin fassungslos, zutiefst berührt, spüre deutlich, wie klein doch der Mensch ist im Angesicht solcher Urgewalten.